Arbeiten in selbstführenden Teams. Oder wie wir das Management abschaffen
Die Welt von heute ist VUCA: volatile, uncertain, complex und ambiguous. Unternehmen stehen vor komplexen Herausforderungen wie Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge. Wer nicht schnell genug agiert, wird vom Markt verdrängt. Andere Formen der Unternehmensorganisation sind daher gefragt.
Gleichzeitig herrscht akuter Fachkräftemangel und die Ansprüche der Arbeitnehmer ändern sich. War früher das Gehalt ausschlaggebend für die Wahl des Arbeitgebers, stehen heute Faktoren wie Betriebsklima und flexible Arbeitszeiten ganz oben.
Hierarchische Organisationen in einer zunehmend agilen Welt
In klassischen, hierarchisch organisierten Unternehmen dauert es oft lange, bis eine Entscheidung gefällt wird. Denn in einer Hierarchie wird dort entschieden, wo jemand Entscheidungsbefugnis besitzt. Dieser Jemand muss nicht unbedingt auch die notwendigen Fachkenntnisse für die Entscheidung haben. Er/sie benötigt also Zuarbeiten von den (hierarchisch meist untergeordneten) Fachexperten. Die gesamte Kommunikation im Zuge einer Entscheidung durchläuft daher verschiedene Hierarchiestufen und kann stark ritualisiert sein, z. B. in Form von Task-Forces, Arbeitsgruppen oder Entscheidungsgremien. Diese Prozesse beeinträchtigen auch die Qualität der Entscheidungen.
Gleichzeitig werden lebensnotwendige Informationen von oben nach unten kommuniziert, während parallel die Erkenntnisse aus der täglichen Arbeit über formalisierte Reporting-Wege von unten nach oben berichtet werden. Abteilungen konkurrieren miteinander um Budgets und Ressourcen, statt gemeinsam an den strategischen Zielen des Unternehmens zu arbeiten.
All das führt dazu, dass mit der Größe eines Unternehmens oft auch die Effizienz und Innovationskraft abnehmen. Mitarbeiter sind gestresst und werden demotiviert.
Neue Organisations- und Prozessformen
Als Antwort auf diese Herausforderungen haben sich in den vergangenen 15 Jahren neue Organisations- und Prozessformen herausgebildet, die auf der grundlegenden Annahme beruhen, dass selbstbestimmtes Arbeiten und Partizipation zu besserer Qualität und mehr Innovation führen.
Dazu gehören u.a.:
- Soziokratie, d.h. die selbstführende Organisation. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Soziokratie
- Holokratie, Selbst-Management-Systematik für agile Unternehmen, siehe https://www.holacracy.org
- Agiles Projektmanagement, u.a. Scrum, siehe https://www.scrumalliance.org/
- Konsentprinzip, siehe https://soziokratiezentrum.org/leitbild/
- Transformationale Führung, siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Transformational_leadership
Für uns war ein Buch der berühmte Augenöffner: Reinventing organizations von Frederic Laloux, siehe http://www.reinventingorganizations.com/.
Kerngedanke der neuen Formen ist es, die starre Hierarchie abzulösen durch selbstführende Kreise von Mitarbeitern (Teams). Die Teams organisieren sich selbst und übernehmen neben der fachlichen Arbeit auch Aufgaben, die klassischerweise im Management angesiedelt sind, u.a. Recruitment, Vertragsverhandlungen und Budgetcontrolling.
Die Teams koordinieren sich über regelmäßige Zusammenkünfte und gemeinsam ausgearbeitete Ziele. Entscheidungen, die die Arbeit der Teams betreffen, werden von denen getroffen, die die erforderlichen Fachkenntnisse besitzen. Die Teams entscheiden im Konsent, d.h. vorgeschlagene Lösungen und Entscheidungen werden nur blockiert, wenn es schwerwiegende Argumente dagegen gibt. Für eine Entscheidung müssen sich also nicht alle einig sein.
Damit ist in selbstführenden Organisationen die Verantwortung geteilt und jeder Mitarbeiter partizipiert an Entscheidungen. Die Kreise sind miteinander verknüpft, sodass ein Mitarbeiter in mehreren Teams arbeiten kann.
Und wie sieht das konkret bei parson aus?
Wir haben uns 2016 entschieden, den Weg zur selbstführenden Organisation zu beginnen. Ein wesentlicher Grund dafür war das Unternehmenswachstum. Für die zunehmende Mitarbeiteranzahl und die Verteilung auf mehrere Standorte taugten die alten, eher familiären Strukturen nicht mehr.
Gemeinsam entwickeln wir seitdem die verschiedenen Bereiche und Prozesse weiter. Wir stellen die Organisation Stück für Stück um, die Priorität wird dabei durch die Schmerzen definiert, die ineffiziente oder intransparente Prozesse erzeugen. Die wesentlichen Entscheidungen fallen auf Betriebsversammlungen, die mehrmals im Jahr durchgeführt werden. Die Unternehmenskultur beruht auf Transparenz (auch bezüglich aller betriebswirtschaftlichen Kennzahlen), einem offenen Umgang mit Fehlern und Wissensaustausch.
Organisationsformen
Wir arbeiten mit folgenden Organisationsformen:
- Selbststeuernde Teams pro Kunde oder Projekt. Die Teams organisieren Aufgaben wie Projektarbeit, Vertrieb, Recruitment oder Budgetkontrolle eigenverantwortlich.
- Unterstützungsfunktionen wie Geschäftsleitung, Buchhaltung und Controlling. Sie realisieren dauerhafte Aufgaben, die dem Funktionieren der Organisation dienen, behandeln aber keine fachlichen Themen.
- Communities of Practice für den Austausch von Mitarbeitern zu fachlichen Themen.
Definierte Prozesse für die Selbststeuerung und Partizipation
Bislang haben wir folgende Prozesse standardisiert:
- Transparentes Projektmanagement im webbasierten Tool
- Beratungsprinzip für Wissenstransfer zwischen Teams und Qualitätssicherung
- Konsentprinzip für Entscheidungen
- Stellenausschreibungen durch Teams
- Einstellungs- und Mentoringprozess
- Wissensmanagement
Der Weg zur selbstführenden Organisation ist lang und herausfordernd. Er fordert ein Umdenken auf allen Ebenen des Unternehmens und beeinflusst jeden Prozess. Nicht jeder wird sofort damit glücklich. Neben den Prozessen muss auch die IT-Infrastruktur diese Organisationsform unterstützen: Transparenz erfordert Zugriffsrechte. Beratung und gemeinsame Entscheidungsfindung benötigen eine Plattform, auf die alle zugreifen können. Aber der Weg lohnt sich, denn er führt zu mehr Zufriedenheit in der Arbeit, mehr Selbstbestimmung und einer zukunftssicheren Organisation.
Der Artikel beruht auf der Präsentation von Ulrike Parson und Jonas Wäckerle auf der tekom-Frühjahrstagung 2018. Vortrag verpasst? Ulrike Parson und Marion Knebel halten auf der tekom-Jahrestagung 2018 in Stuttgart noch einmal einen Vortrag zu diesem Thema.
Neuen Kommentar hinzufügen