Digitaler Produktpass – was Hersteller jetzt wissen und vorbereiten müssen

von Gernot Baumann am 11. September 2024

Im Juli 2024 hat die Ökodesign-Verordnung in der EU die Ökodesign-Richtlinie abgelöst, um die Energieeffizienz und Umweltverträglichkeit von Produkten durch striktere Anforderungen zu verbessern. Sie betrifft eine breite Palette von Produkten wie Haushaltsgeräte, Elektronik und Beleuchtung und ist Teil der EU-Strategie zur Reduzierung von CO2-Emissionen und zur Förderung der Kreislaufwirtschaft.

Teil dieser Verordnung ist der Digitale Produktpass (DPP), der eine transparente Nachverfolgbarkeit über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts gewährleisten soll. Der Digitale Produktpass befindet sich noch im Entwurfsstadium und wird für Hersteller bestimmter Produkte verpflichtend sein.

Die neue Verordnung erweitert den Kreis der betroffenen Produkte erheblich, einschließlich Textilien und Bauprodukte. Hersteller müssen die Einführung des DPP sorgfältig planen und umsetzen, um den gesetzlichen Bestimmungen zu genügen.

Dieser Artikel richtet sich an Produkthersteller, die sich vor der Herausforderung sehen, einen Digitalen Produktpass einführen zu müssen. Wir geben einen Überblick über die folgenden Aspekte:

  • Was ist der Digitale Produktpass?
  • Was soll mit dem Digitalen Produktpass erreicht werden?
  • Ab wann gilt der Digitale Produktpass und wann wird der Digitale Produktpass Pflicht?
  • Was müssen Sie als Hersteller tun, um einen Digitalen Produktpass einzufügen?

Was ist der Digitale Produktpass?

Der Digitale Produktpass ist ein Datensatz, der zu einem bestimmten Produkt gehörende Informationen enthält, die von der Ökodesign-Verordnung vorgegeben werden. Dieser Datensatz muss elektronisch so zugänglich gemacht werden, dass er rund um die Uhr online zur Verfügung steht und abgerufen werden kann. Der DPP enthält umfassende Informationen, u.a. über:

  • Materialien
  • Bestandteile
  • Energieeffizienz
  • Herkunft 
  • Reparaturmöglichkeiten 
  • Entsorgung 

Die wesentlichen Merkmale des Digitalen Produktpasses sind die folgenden:

  • Informationen und Daten: Die Informationen im Digitalen Produktpass ermöglichen es Verbrauchern, fundierte Entscheidungen zu treffen, und Herstellern, ihre Lieferketten transparenter zu gestalten.
  • Zugänglichkeit: Der Digitale Produktpass ist in digitaler Form verfügbar und kann über QR-Codes oder andere digitale Schnittstellen leicht abgerufen werden. Dies gewährleistet einen einfachen und schnellen Zugang zu den relevanten Informationen.
  • Lebenszyklus: Der Digitale Produktpass deckt den gesamten Lebenszyklus eines Produkts ab, von der Herstellung über den Gebrauch bis hin zur Entsorgung oder dem Recycling. Dadurch wird die Nachhaltigkeit eines Produkts über seine gesamte Lebensdauer hinweg nachvollziehbar.
  • Standardisierung: Der Digitale Produktpass folgt standardisierten Formaten und Vorgaben, um die Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Produkten und Herstellern zu gewährleisten. Die Standardisierung erleichtert die Integration in bestehende Systeme und Prozesse.
  • Verpflichtungen: Hersteller und Importeure sind verpflichtet, die notwendigen Daten für den Digitalen Produktpass bereitzustellen und regelmäßig zu aktualisieren. Dies beinhaltet auch die Einhaltung von Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen. 
Komponenten des Digitalen Produktpasses

Was soll mit dem Digitalen Produktpass erreicht werden?

Der Digitale Produktpass soll die Entscheidungsfindung der Verbraucher unterstützen und sie zu nachhaltigeren Entscheidungen bewegen.

Darüber hinaus können Hersteller mit Hilfe des Digitalen Produktpasses ihren Informationspflichten, z. B. über die Verfügbarkeit von Ersatzteilen oder das Verfahren für deren Bestellung, nachkommen oder auch ein Reparaturhandbuch über den Digitalen Produktpass ausliefern. 

Zusammengefasst ergeben sich für die verschiedenen Akteure folgende Vorteile:

  • Verbraucher erhalten detaillierte Informationen zur Produktauswahl und zur nachhaltigen Nutzung und Entsorgung.
  • Hersteller können ihre Nachhaltigkeitsbemühungen transparenter machen und Wettbewerbsvorteile erzielen.
  • Regulierungsbehörden erhalten eine bessere Datenbasis zur Überwachung und Durchsetzung von Umweltstandards.

Neben den genannten Akteuren gibt es noch weitere, die Informationen aus dem Produktpass nutzen können. Die folgende Abbildung veranschaulicht die Interessen und Aufgaben verschiedener Akteure.

Der Digitale Produktpass (DPP)

Der Digitale Produktpass soll so ein wichtiger Schritt zur Förderung nachhaltigerer Konsum- und Produktionsmuster in der EU sein und die Ziele des Europäischen Grünen Deals unterstützen.

Geplanter Zeitrahmen für die Einführung des Digitalen Produktpasses (DPP)

Die neue Ökodesign-Verordnung (EU) 2024/1781 trat am 18. Juli 2024 in Kraft. Doch bis zur verbindlichen Anwendung der Verordnung werden noch einige Jahre vergehen: Ab 2027 sollen die EU-Mitgliedstaten erst mit der Integration der Verordnungen in ihre nationalen Rechtssysteme beginnen.

Der Zeitrahmen für die vollständige Implementierung beinhaltet verschiedene Phasen:

1. Vorbereitung und Konsultation (2022-2024)

  • Im Jahr 2022 wird die Ökodesign-Verordnung vorgestellt, die auch den Digitalen Produktpass umfasst.
  •  Die EU-Kommission befragt Interessengruppen, um die Anforderungen und Rahmenbedingungen für den Digitalen Produktpass zu definieren.
  • Die Ökodesign-Verordnung tritt am 18. Juli 2024 in Kraft.

2. Pilotphase und erste Implementierung (2025-2026)

  • Im Zuge einer Pilotphase werden spezifische Produktgruppen ausgewählt, um die Funktionsweise des Systems zu testen.
  • Erste Umsetzungen des Digitalen Produktpasses sollen für bestimmten Produktkategorien beginnen.

3. Schrittweise Ausweitung (ab 2026)

  • Der Digitale Produktpass soll schrittweise auf eine breitere Palette von Produkten ausgeweitet werden.

4. Umsetzung (2027-2030)

  • Ab 2027 bis 2030 integrieren die EU-Mitgliedstaaten den Digitalen Produktpass in ihre nationalen Rechtssysteme. Der DPP soll dann eine breite Produktpalette abdecken.
  • Der Digitale Produktpass soll regelmäßig so angepasst werden, dass er den technologischen Entwicklungen und den Bedürfnissen des Marktes gerecht wird.  

Konsequenzen und Herausforderungen des Digitalen Produktpasses für Unternehmen

Unternehmen brauchen ein Konzept, um die Vorgaben für den Digitalen Produktpass technisch und organisatorisch umsetzen zu können.
Zu betrachten sind beispielsweise folgende Aspekte:

Datenmanagement

  • Datenerfassung: Hersteller müssen Systeme zur Erfassung und Verwaltung der erforderlichen Produktinformationen implementieren. Dies können u.a. Produktinformationssysteme (PIM) oder Product-Lifecycle-Managementsysteme (PLM) sein.
  • Datenqualität: Fortwährende Sicherstellung der Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Daten durch regelmäßige Überprüfungen

Integration in Geschäftsprozesse

  • Unternehmensprozesse: Anpassung interner Prozesse zur Einbindung der Datenerfassung und -pflege für den Digitalen Produktpass
  • Mitarbeiter-Schulung zur Nutzung und Pflege des Digitalen Produktpasses

Beispiel
Laut Ökodesign-Verordnung müssen bestimmte Produkte repariert werden können. Also muss ein Produkt zum einem in seiner Konstruktion so angepasst werden, dass es repariert werden kann.  Zum anderen muss die Information über die Reparaturfähigkeit dokumentiert werden und ggf. eine Reparaturanleitung geschrieben werden bzw. der Reparaturvorgang intern/extern geschult werden.

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Wie kann ein Unternehmen den Digitalen Produktpass einführen?

Folgendes Konzept beschreibt, welche Schritte und welche Punkte ein Unternehmen zur Einführung eines Digitalen Produktpasses gehen bzw. beachten sollte:

1. Bedarfsanalyse und Zielsetzung

  • Bedarfsanalyse: Analysieren Sie den Bedarf und die Vorteile eines Digitalen Produktpasses für Ihr Unternehmen. Identifizieren Sie die spezifischen Anforderungen, die mit der Einführung eines DPP erreicht werden sollen (z.B. Rückverfolgbarkeit, Nachhaltigkeit, gesetzliche Anforderungen).
  • Zielsetzung: Definieren Sie klare Ziele und KPIs für die Einführung des Digitalen Produktpasses.

2. Stakeholder

  • Identifikation der Stakeholder: Bestimmen Sie alle relevanten internen und externen Stakeholder:
    • Extern: z.B. Lieferanten, Kunden, Recycling-Unternehmen, Regulierungsbehörden
    • Intern: z.B. Stammdatenmanagement, IT-Abteilung, Produktionsleitung, Produktmanagement, Technische Dokumentation, Service

Fördern Sie die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den Stakeholdern, um deren Bedürfnisse und Erwartungen zu verstehen und einzubinden. 

3. Technologische Infrastruktur

  • Systemauswahl: Wählen Sie geeignete Technologien und Plattformen für den Digitalen Produktpass aus. Berücksichtigen Sie dabei Faktoren wie Interoperabilität, Skalierbarkeit und Sicherheit.  
  • Datenintegration: Stellen Sie sicher, dass bestehende Systeme und Datenquellen integriert werden können. Entwickeln Sie Schnittstellen und APIs, um eine nahtlose Datenübertragung zu gewährleisten. Potenzielle Datenquellen, die eingebunden werden könnten, wären etwa Produktdatenbanken, ERP- oder PLM-Systeme.

4. Datenmanagement

  • Datenstandards: Definieren Sie Standards für die Datenerfassung und -speicherung. Stellen Sie sicher, dass die Daten konsistent, vollständig und aktuell sind.

    Beispielsweise kann die Asset Administration Shell (AAS, Verwaltungsschale) Datenbasis für den Digitalen Produktpass sein. Die AAS wird von der Industrial Digital Twin Association (IDTA) betreut und ist in der Industrie bereits weit verbreitet. In einer AAS können Informationen für den Digitalen Produktpass strukturiert und einheitlich dargestellt werden. Die IDTA bietet bereits beispielhafte Teilmodelle, die im Produktpass verwendet werden können, u.a. für das Digitale Typenschild  und den Product Carbon Footprint (PCF, ökologischer Fußabdruck eines Produkts).
  • Datenqualität: Implementieren Sie Mechanismen zur Überprüfung und Sicherstellung der Datenqualität.  

5. Prozessdesign und -implementierung

  • Prozessanalyse: Analysieren Sie bestehende Prozesse und identifizieren Sie notwendige Änderungen oder Optimierungen.
  • Prozessintegration: Integrieren Sie den Digitalen Produktpass in die bestehenden Geschäftsprozesse und Arbeitsabläufe.

6. Schulung und Change-Management

  • Schulung: Schulen Sie Mitarbeiter und Stakeholder im Umgang mit dem Digitalen Produktpass und den neuen Prozessen.
  • Change-Management: Implementieren Sie ein Change-Management-Programm, um die Akzeptanz und das Engagement der Beteiligten zu fördern.

7. Pilotphase und Feedback

  • Pilotphase: Führen Sie eine Pilotphase durch, um den Digitalen Produktpass in einem begrenzten Umfang zu testen und erste Erfahrungen zu sammeln.
  • Feedback: Sammeln Sie Feedback von den Nutzern und Stakeholdern, um Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren.

8. Skalierung und kontinuierliche Verbesserung

  • Skalierung: Nach einer erfolgreichen Pilotphase skalieren Sie den Digitalen Produktpass schrittweise auf das gesamte Unternehmen.
  • Kontinuierliche Verbesserung: Etablieren Sie Prozesse zur kontinuierlichen Überwachung und Verbesserung des Digitalen Produktpasses.

9. Regulatorische und rechtliche Anforderungen

  • Compliance: Stellen Sie sicher, dass der Digitale Produktpass alle relevanten regulatorischen und rechtlichen Anforderungen erfüllt.

10. Nachhaltigkeit und Weiterentwicklung

  • Nachhaltigkeit: Implementieren Sie Maßnahmen zur Sicherstellung der langfristigen Nachhaltigkeit des Digitalen Produktpasses.
  • Innovation: Halten Sie sich über technologische Entwicklungen und Best Practices auf dem Laufenden und integrieren Sie diese in Ihren Digitalen Produktpass.

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